Architektur

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Zwei Grundformen sind in der chiranischen Architektur bestimmend: die Pyramide und die Kuppel.
Die Pyramidenform ist das althergebrachte Symbol der Macht, besonders die des Staates. In der Hauptstadt findet dieser Machtanspruch demnach ihre bauliche Umsetzung in öffentlichen Anlagen der Verwaltung und Regierung Verwendung, also Gebäuden, die einen repräsentativen, wuchtigen, unbeirrbaren und geradezu erdrückenden Eindruck beim Volk hinterlassen sollen. Diese Pyramiden nehmen freilich eine gewaltige Grundfläche ein, weshalb man mehr und mehr dazu übergeht, die Seiten in einem immer steileren Winkel auf den Boden treffen zu lassen, um den Verlust an Inhalt trotz Reduktion der Fläche zu minimieren. So stechen die Verwaltungsgebäude der neueren Viertel der Hauptstadt als schlanke pyramidale Türme aus dem umgebenden Dachgewirr in den Himmel. Die Außenwände der staatlichen Pyramiden sind eben und glatt. Auch das eine Symbolik: vollkommen in der Form und scheinbar unangreifbar. In Hinblick auf die zunehmende Bequemlichkeit jedoch hat man das einst makellose, oft strahlend weiße Antlitz mancher Pyramide durch Einbuchtungen für einen Balkon oder ein senkrechtes Fenster verschandelt.
In den seltensten Fällen finden sich die Eingänge am Sockel des Bauwerkes, sondern mehrere Vat über dem Boden. In den ältesten Vierteln der Hauptstadt der Allianz sind die Pyramiden so dicht aufeinandergebaut, dass sich ihre Schrägen unten berühren. Das sich dort sammelnde Wasser kann sich in wenigen Augenblicken zu pfeilschnellen Sturzbächen sammeln, die einerseits sich ansammelnden Müll, Unrat und Ungeziefer davon- und in die Kanalisation spülen, andererseits auch Gefahr für Leib und Leben der Ärmsten der Armen darstellen, die hier unten hausen. Um diese Kanäle zu meiden, sind auf vier oder fünf Vat Höhe breite Stege zwischen den Pyramiden gespannt, auf denen der Verkehr fließt und oftmals die unteren Kanäle in vollkommener Dunkelheit verschwinden lassen. Der große Freiraum zwischen den Böden und dem eigentlichen Erdreich ist feucht und klamm, eine finstere Welt für sich, eine Stadt unter der Stadt, an manchen Stellen von Sumpfpflanzen durchwuchert und nicht nur Wohnraum für Verbrecher und die Verlierer der Gesellschaft, sondern auch Kreaturen des Dschungels, die auf diesem Wege das Territorium zurückerobern, das die Hauptstadt ihnen einst raubte...
Stufenpyramiden wurden nur selten errichtet. Dass sie mit ihren vorgelagerten Terrassen, den senkrechten Wänden und ihrer unkomplizierten Bauweise bedeutend praktischer sind, ist ihnen sehr wohl bewusst, aber die Chirà empfinden diese Gebäude, die sich hier und da ausschließlich als Wohnanlagen finden, als unschön und als eine Beleidigung für die Augen. So kommt es, dass die wohnlichsten Quartiere, die Menschen oder Sragon als Paradiese im Stadtgebiet bezeichnen mögen, von den Chirà als „unansehnlich“ abgetan werden.
Mächtige Lichtschächte, die die wuchtigen Pyramiden von der Spitze bis zum Fundament durchstoßen und die bei starken Regenfällen zur
Mittagszeit durch mehrere wasserdichte Planen bedeckt werden können oder bei neuzeitlichen Gebäuden gar mit einer Glas- und Stahlkonstruktion abgedeckt werden, stellen die neueste Entwicklung im uralten Pyramidenbauwesen dar.
Für Aufsehen haben auch die Experimente einiger Architektinnen, darunter vor allem von Tejha Aljenor Chranirual gesorgt, Pyramiden mit drei-, fünf-, sechs- und siebenseitigen Grundflächen zu konzipieren und beeindruckende, ja atemberaubende Wirklichkeit werden lassen. Zahlreiche dieser Pläne wurden erfolgreich in wahre Perlen im Stadtbild verwandelt.

Die in früheren Zeiten als frivol geltenden Kuppeln sind eine im Vergleich zu den altehrwürdigen Pyramiden neumodische Leidenschaft der Wohlhabenden.
Kaum ein Neubau eines Palastes aus Adelskaste und Kriegerschaft, der nicht versucht, seine Vorgäner durch immer gewagtere Kuppelbauten in den Schatten zu drängen. Sogar die Paläste, die die jahrtausendealte Kastenpyramide der Chrania auf ihren steinernen Schultern trägt, tragen glänzende Kuppeln, schillernden Seifenblasen gleich, auf ihren Zinnen.
Einige aufgeschlossenere Kulte der Mra-Aggar haben auch die Eleganz und Würde dieser schwebenden Gewölbe schätzen gelernt, während die konservativen Kräfte aus den Priesterschaften der Hostinos-Kulte der neuen Baurichtung für sakrale Anlagen entschiedenen Widerstand entgegenbringen und stattdessen mit erhobenen Zeigefinger auf die jahrtausendealte Tradition der pyramidalen Tempel verweisen.
Nicht, dass die Kuppel nicht schon seit Jahrtausenden Teil der Baukunst wäre: sämtliche Thermen der Allianz verfügen über weite Kuppelkonstrukte, doch nur allmählich schlichen sie über die privaten Badehäuser der Oberschicht in die Wohnbereiche. Eben diese Herkunft aus den Badeanstalten, in denen ein Gast stets intime Betreuung durch ausgewählte Lustsklaven erfährt, lässt viele Priesterschaften vor der Verwendung dieser Form zurückschrecken, fürchten sie doch scheinbar, bald mit derartigen Etablissements verwechselt zu werden.
Die Abneigung der konservativen Schichten der chiranischen Gesellschaft ist um so erstaunlicher, als die große, uralte Versammlungshalle der chiranischen Kasten, der Dom Aviajar, die größte bekannte Kuppel Mradoshans trägt.
Die neusten Entwicklungen des hereinbrechenden „Diamantenen Zeitalters“ äußern sich in immer gewagteren und phantastischeren Bauprojekten: immer höher wachsen die Turmpyramiden in den Himmel, so dass ihre Häupter zur Regenzeit in den tiefhängenden Wolken- und Nebelfeldern verschwinden und immer weiter werden die Stützbögen für die Diskus- oder gar Kugelförmigen Bauexperimente der führenden Architektinnen.
Als jüngste Glanzleistungen dürften hierbei die verwachsenen Drillingstürme über den Ovalen der Marama-Arenen gelten, deren Bau nur durch die Verwendung neuester Materialien wie dem Ejhao-Stahl möglich wurde.

Die großen Straßen und Plätze der Allianzhauptstadt gehören zweifellos zu den prunkvollsten Zeugnissen chiranischer architektonischer Kunst. Mondäne Plätze, inszeniert über gewaltige Triumphbögen, Obelisken und Schmuckpyramiden, verbunden mit von Arkaden hängenden Gärten, verschlungenen, mit den Straßen verwobenen- Brunnenanlagen und über versetzte Ebenen fließende Parks prägen das Antlitz der modernen Viertel und vielmals umgestalteten zentralen Plätze der Metropole.

Enge Straßen und von hohen Gebäuden umgebene Märkte wie in den Städten der Menschen haben sich in den ältere Stadtvierteln zurückgezogen - von denen es freilich ein Dutzend mal mehr gibt als Vorzeige-Viertel in der Innenstadt. Beherrschend sind aber stets die überlebensgroßen Statuen verdienter Chirà, die an nahezu jeder Straßenecke zu finden sind. Mit geradezu titanischen Ausmaßen stützen sie Dachgiebel, lehnen an Pyramiden oder erheben sich, ihre Häupter viele Dutzend Vat über der Straße weit über die umliegenden Häuser, den Blick in dunsterfüllte Ferne gerichtet Während die großen Paläste der Adelskaste vor Säulengängen, Gärten, Kuppelhallen, künstlichen Wasserfällen im Empfangsraum, Terrassen und Galerien nur so überfließen, ist der einfache Bürger auf schlichtere Behausungen angewiesen. Sein kleines angemietetes Zuhause liegt vermutlich an der Außenseite einer Wohnpyramide, tritt er aus seiner Eingangstüre heraus wird ihn ein langer Korridor zunächst ins Zentrum der Anlage führen, wo er eine große Halle vorfinden wird, die vielleicht eine kleine Gaststätte oder eine Grünanlage enthält.
Neben den Wohnpyramiden gibt es auch noch die ganz einfachen Häuser, die nahezu würfelförmig überall hingestreut wurden, wo für die gewaltigen Fundamente pyramidaler Bauten kein Platz mehr war. Diese Häuser sind schlicht und einfach, bieten jedoch viel Wohnraum und zahlreiche Fenster, die das heiße, aber trockene Allianz-Klima erträglich machen. Böse Zungen behaupten, in ihnen ließe es sich fast besser leben als in einer Pyramide, in der eine Seite des Zimmers immer abgeschrägt ist und so die Einrichtungsmöglichkeit doch stark einschränkt. Doch nirgendwo hat der Satz so viel Gültigkeit wie bei den Chirà: Wer schön sein will, muß leiden. Das gilt auch in der Architektur.

Die klassische „Würfelarchitektur“ findet sich dann auch in den westlichen Städten wieder, besonders in Ashrabad und Yedea. Doch selten war hier eine ordnende Hand zugange, so dass die Häuser so aufeinander und wild nebeneinander gebaut wurden, dass kein Durchkommen mehr ist. Das Flachdach ist in Mradoshan weit verbreitet, doch natürlich ist es stets in eine Richtung hin leicht abschüssig, muss doch das viele Regenwasser (das in großen Becken, zentralen Höfen oder einfachen Regentonnen aufgefangen wird) irgendwo hin abfließen. In den Städten an der Küste des Metchà, besonders in Estichà, Vorovis und Men-Achor hingegen ist das Schräg- und Giebeldach üblich.