Chrenorfalke

Aus der "Cheleta jì vuela" des Naturforschers Kenan ap Lhazar

Einer der schönsten Falkenvögel überhaupt ist mithin der Chrenorfalke. Er unterscheidet sich von anderen Falken insbesondere durch den kürzeren Schnabel, ein anderes Verhältnis der Schwingen und nicht zuletzt durch die nicht nur nach den Geschlechtern, sondern auch nach dem Alter verschiedene Färbung.

Seine Länge beträgt 31, die Breite 78, die Flügellänge 22, die Schwanzlänge 14 Clat. Das Weibchen ist um drei Clat länger und um vier bis fünf Clat breiter. Im ausgefärbten Kleide kann das Männchen mit keinem anderen Falken verwechselt werden. Der Unterbauch, die Hosen und die Unterschwanzdeckfedern sind dunkel rostrot; das übrige Gefieder ist sehr gleichmäßig schieferblau, nur der Schwanz ist dunkler. Die Wachshaut, der nackte Hautring um das Auge sowie die Füße sind ziegelrot, der Schnabel ist hinten gelb, vorn hornbläulich.

Das Weibchen ist auf dem Kopfe und Nacken hellrostfarben, auf dem übrigen Oberkörper blaugrau, auf Mantel und Schwanz dunkler gebändert, am Vorderhalse und auf den Halsseiten, mit Ausnahme der braunen Bartstreifen, weiß, auf dem übrigen Unterkörper rostgelb.

Im Jugendkleid ist der Oberkörper dunkelbraun, jede Feder rostgelblich gerandet, der Schwanz rostgelb, elf- bis zwölfmal dunkler quergebändert, der Unterkörper von der weißen Kehle ab rostgelblich-weiß mit breiten, braunen Längsflecken.

Der Chrenorfalke lebt ausschließlich im Hochland von Sanescya, was meiner Meinung nach mit dem dortigen Vorkommen der Gujapala-Schnecke zusammenhängt. Gujapala-Schnecken ernähren sich wiederum ausschließlich vom Sanescya-Volias, einem Kraut, welches - eigene Versuche gestatten mir diese Behauptung - nur auf der satten Erdkrume Sanescyas gedeiht. Nun scheint gerade diese Schnecke eine ausgewählte Delikatesse für Chrenorfalken zu sein, so daß sie andernorts nicht richtig glücklich sind. Unser Falke ist also im vollsten Sinne des Wortes ein Charaktervogel dieses Hochlandes. Chrenorfalken gehören zu Sanescya wie die Wolken an den Himmel.

Wo in dem von mir bereisten Hochland Ruheplätze vorhanden sind, fehlen Chrenorfalken gewiß nicht. Sie sitzen auf allen möglichen Erhöhungen, Pfählen, Bäumen, ausruhend, verdauend und gleichzeitig nach neuer Beute spähend, deshalb wachsamen Auges die Gegend überschauend, erheben sich, durch das Geräusch des hebeirollenden Wagens oder das Geklingel des Deichselpferdes aufgeschreckt, und betreiben nunmehr ihre Jagd in alter Gewohnheit. Mit einigen pfeilschnellen, gewandten Flügelschlägen, vielfach an die echten Edelfalken erinnernd, eilen sie eine Strecke weit weg, beginnen zu schweben und halten sich nunmehr, kaum merkbar rüttelnd, soll heißen die Flügel kaum sichtbar bewegend, genau auf einer Stelle, fliegen ein wenig weiter und verfahren wie früher. Nicht selten sieht man ihrer 10-30 zu gleicher Zeit über dem Hochland schweben oder diesem nach jenem erscheinen, so als ob sie sich ablösen wollten, denselben Boden, der zuvor schon von allen vorhergehenden abgesucht wurde, nochmals zu besichtigen. Einer nach dem anderen fährt zur Erde hinab, verweilt einen Augenblick, um seine Beute, zumeist einen kleinen Nager, aufzunehmen, schwingt sich hierauf von neuem empor und beginnt wie vorher das alte Spiel. Im Gefühl ihrer Sicherheit lassen sie sich hierbei durch den Beobachter nicht im geringsten stören, treiben über dessen Kopfe ihre Flugkünste, stoßen dicht neben ihm auf den Boden nieder und lassen sich sogar durch ein angezündetes Feuerchen von Ferne anlocken. Nur wenn sie ausruhend auf den Merkzeichen am Wege sitzen, warten sie nicht immer die Ankunft eioes auf sie zuschreitenden Menschen ab, sondern fliegen nicht selten aus doppelter Bogenschußweite davon, um nach kurzem Fluge rüttelnd stillzuhalten und zu jagen. Sind sie nunmehr wiederum beschäftigt, so achten sie denselben Menschen, der sie früher verscheuchte, nicht weiter und treiben es über seinem Haupte, wie vorher beschrieben.

Bemerken will ich noch, daß die Chrenorfalken keineswegs überall im Hochland in gleicher Häufigkeit auftreten. Sie verteilen sich schon aus dem Grunde, weil passende Nistplätze für sie nicht überall zu finden sind, uns sie diesen zuliebe einen Standort wählen müssen. Nach meinen Beobachtungen ziehen sie steilere Abhänge der Berge den sanften Gehängen der Hügel vor, obschon sie auch hier keineswegs fehlen.

Chrenorfalken ernähren sich von Insekten, anderen Vögeln und Nagern. Auch Eidechsen verschmähen sie nicht, nur von Aas halten sie sich fern. Besonders erstaunlich ist die Geschicklichkeit, mit der sie kleine, auf dem Boden kriechende Käfer aufnehmen, zwischen ihren kurzen Klauen festhalten und im Fluge verspeisen.

Leichter als jeder andere Falke läßt sich der Chrenorfalke mit einer einfachen Fangvorkehrung berücken. Eine Gujapala-Schnecke wird da, wo er vorkommt, in leicht sichbarer Weise zur Schau gestellt und mit Leimruten umgeben, die an dem Gefieder der Falken hängenbleiben und seinen Flug lähmen, so er sich anschickt, die erhoffte Beute aufzunehmen. Wie ich von denen, die ich selber pflegte, folgern zu dürfen glaube, fügt er sich leicht in die Gefangenschaft, besonders wenn man ihn ab und an mit seiner geliebten Gujapala-Schnecke beglückt. Chrenorfalken besitzen alle guten Eigenschaften der Falken und noch außerdem ihre eigene Schönheit. Ihre Haltung ist zierlich, ihr Wesen verträglich, ihre Raubzucht lenkbar. Die ihnen gewidmete Aufmerksamkeit und Pflege erkennen sie dankbar an. Sie erkennen ihre Freunde genau und begrüßen sie durch freudigen Zuruf.