Maria vs. Hel

Von Josef Mittermann

Als Hel zwischen zwei Wachen die Treppen hinunterstieg, die zum Hof führten, überdachte er gelassen und ruhig seine Chancen im bevorstehenden Kampf. Er wußte, daß es eines kleinen Wunders bedurfte, um zu siegen, obwohl Maria ihm zwei Dolche zugestanden hatte. Sorgfältig hatte er in der Waffenkammer der Stadtwache zwei Klingen gewählt, die nun eine der Wachen in Verwahrung genommen hatte. Es waren vorzüglich gearbeitete, schmucklose Waffen, nadelspitz und scharf. Sie waren in seinen Händen gelegen, als wären sie für ihn geschmiedet worden.

Hel gab sich keinen Illusionen hin. Dolche waren nicht dazu geeignet, Säbelhiebe abzufangen, er würde ausweichen müssen. Seine einzige Chance lag in schnellen Attacken, ohne viel auf Deckung zu achten. So konnte der Kampf nicht lange dauern, entweder er traf oder Maria traf.

Das kam ihm entgegen, denn obwohl er so gut in Form war, wie schon lange nicht, war ihm die ausgebildete Kriegerin, was die Ausdauer betraf, überlegen. Hel hatte nur wenig geschlafen, diese Nacht und die meiste Zeit damit verbracht, sich in das Schweigen zu versenken und als das erste fahle Dämmerlicht durch das vergitterte Fenster seine Zelle zitterte, hatte er in einem kurzen Gebet sein Geschick in die Hände der Göttin gelegt. Eine heitere Gelassenheit war über ihn gekommen und die Gewissheit alles getan zu haben, was zu tun war. Jetzt mußte er nur kämpfen so gut er konnte, alles weitere lag bei der Göttin.

Als er hinter der Wache auf den Hof trat, sog er in einem tiefen Atemzug die noch morgendlich kühle Luft ein. Es versprach ein schöner, wolkenloser Tag zu werden. Maria wartete schon auf ihn, umgeben von Offizieren und Unteroffizieren der Stadtwache. Kenan war gekommen und mit ihm der Ratsherr Medivh Alterac. Tagamoga stand bleich , ihre Kapuze in die Stirn gezogen, etwas abseits. Ein Blick nach oben zu den Wehrgängen an den Mauern nötigte Hel ein Lächeln ab. Mehrere Schützen mit gespannten Armbrüsten hatten so Stellung bezogen, das der gesammte Hof in ihrem Schußfeld war. Maria wandte sich an Jolumbu, der neben ihr stand und wechselte ein paar leise Worte mit ihm. Offensichtlich hatte sie ihn als ihren Sekundanten gewählt. Ein geschickter Schachzug, gestand ihr Hel zu. Einerseits schien sie damit Jolumbu vor den Augen seiner Kameraden zu rehabilitieren und zum anderen war es subtiler Hohn, den Mann auszuwählen, der ihn auf ihren Befehl fast getötet hätte. Doch Hel tat ihr den Gefallen nicht, irgendwie darauf zu reagieren. Er verbeugte sich knapp vor Maria und den Anwesenden.

"Sichara.": grüßte er förmlich und trat dann zu Tagamoga.
"Danke, daß du gekommen bist. Ich habe mein Versprechen nicht vergessen."
Er lächelte ihr aufmunternd zu und wandte sich dann an Maria.
"Ich bin bereit, Maria."

Sie trug ihr Haar zu einem Schweif gebunden, ein weißes Hemd, schwarze Hose und ihre Soldatenstiefel. Den Säbel hielt sie locker in der Rechten. Vereinbarungsgemäß hatte sie auf ihr Kettenhemd verzichtet. Ihre Augen blitzten in Erwartung des Kampfes und Hel musterte sie einen Augenblick mit gespieltem Gleichmut.
"Wild und schön wie der Metcha.": kam es Hel in den Sinn.

Ein breites Lächeln lag auf seinen Lippen, als ihm der Wachsoldat die Dolche reichte.
Kenan trat vor und seinem Gesichtsausdruck war es unschwer zu entnehmen, was er von der Sache hielt. Mit säuerlicher Mine erläuterte er kurz die Regeln, die für diesen Kampf galten.
"Der Kampf wird entweder durch Aufgabe oder - hier blickte Kenan noch säuerlicher - durch den Tod. Die Waffen dürfen nicht geworfen werden, auch wenn sie sich dazu eigenen. Sind beide Kontrahenten mit den Bedingungen einverstanden?"

Kenan blickte von einer zum anderen.
Maria gab ihr Einverständnis und auch Hel nickte.
"Für euch Maria, sekundiert Jolumbu und für euch Hel, Tagamoga Perital. Gibt es dagegen von einer Seite Einwände?"
Nur Tagamoga mußte Kenan nochmals fragen, so schwach war ihr erstes Kopfschütteln. Dann trat er zurück und sagte kurz angebunden:
"Der Kampf kann beginnen."

Trotzdem das Hel sich mit allen Sinnen auf den beginnenden Kampf konzentrierte, überraschte ihn die ungeheure Schnelligkeit Marias. Ansatzlos hieb sie mit der Geschwindigkeit einer zustoßenden Smaragviper nach seinen Beinen, laut angefeuert von ihren Offizieren. Hel sprang zur Seite, doch die Säbelspitze Marias schnitt in den Muskel seines linken Oberschenkels. Der Schmerz ließ ihn aufkeuchen und Hel spürte wie Blut warm sein Bein hinabfloß.

"Pest und Hölle! Das fängt gut an.": fluchte er im Gedanken, ignorierte das Beifallsgeheul, als das Blut seine Hose verfärbte und stieß mit dem rechten Dolch nach Marias Hals, während der Linke nach ihrem Bauch hieb. Hel war schnell, wenn man sein Alter in Betracht zog, sogar sehr schnell, doch der Moment des Schmerzes war lange genug für Maria, die Klinge die auf ihren Hals zielte, mit dem Säbel abzulenken und dem anderen Dolch auszuweichen.

Die Wunde war nicht tief genug, um ihn ernstlich zu behindern, aber der Schmerz und auf längere Sicht der Blutverlußt schwächten Hel und verlangsamten seine Bewegungen.

Hel spürte den Luftzug des wuchtigen Hiebes unter dem er sich wegduckte. Nur um Haaresbreite verfehlte ihn Maria. Begeistertes Rufen und anerkennende Pfiffe begleiteten jeden ihrer Angriffe.

Es war ihm klar, daß er eine schnelle Entscheidung suchen mußte, mit jedem Herzschlag pulste der Schmerz in seinem linken Bein und gemahnte ihn eindringlich. Geduckt war er sich vorwärts, mit der Linken ausholend, um sie zum Ausweichen zu zwingen und sie schließlich mit der rechten Klinge zu erwischen.

Doch des Nachts hatte ein Häftling eine Ratte erschlagen und sie aus dem Fenster seiner Zelle geworfen. Halb verdeckt vom Sande des Exerzierfeldes war der Kadaver niemand aufgefallen, auch Hel nicht, der nun darauf trat und strauchelte. Verzweifelt kämpfte er um sein Gleichgewicht, doch er wurde von seinem eigenen Schwung nach vorne gerissen und stolperte in dem Bemühen, nicht hinzufallen an Maria vorbei. Er sah den Hieb kommen, mit dem Maria aus der Drehung heraus nach ihm zielte, doch es gab nichts was er dagegen tun konnte. Wieder raste Schmerz durch seinen Körper als die Säbelklinge in sein rechtes Bein biß. Glücklicherweise trug ihn sein Schwung aus der Reichweite Marias, bevor sie nochmals zuschlagen konnte.

"Jetzt bin ich geliefert.": durchzuckte es Hel und er stellte fest, daß ihm dieses Wissen nicht bedrückte. Er hatte nie ernsthaft damit gerechnet, in diesem Kräftemessen als Sieger hervor zu gehen. Doch er war entschlossen, so gut er konnte, weiter zu kämpfen.

Wieder brandete begeistertes Gebrüll auf vereinzelt auch Gelächter.
Selbst Hel mußte einen Moment grinsen, bei dem Gedanken, daß ihm nun eine tote Ratte das Genick brach. Hätte es nicht ihn betroffen, hätte auch er herzlich gelacht. Doch es war keine Bitterkeit in ihm. Er unterdrückte den Schmerz der nun bei jeder Bewegung durch seine Beine irrlichterte, wirbelte herum und hieb nach Maria, die den Säbel zu einem neuen Hieb hob.

Wohl rettete sie der Sprung nach hinten, doch sie konnte nicht mehr verhindern, daß die Spitze des Dolches durch den Stoff ihres Hemdes hindurch schräg von oben nach unten eine blutige Linie zwischen ihren Brüsten zog. Hels Stoß mit der Linken ging ins Leere. Die Klinge hatte auch den oberen Saum ihres Hemdes durchtrennt so ließ ein Windstoß den durchtrennten Stoff ihres Hemdes weit aufklaffen und gab den Blick frei auf ihre wohlgeformten Brüste.

Diesmal gab es kein Beifallsgebrüll und Hel konnte von mehreren Seiten das Geräusch schnell ausgestoßenen Atems hören. Ob aus Erleichterung, daß der Hieb Maria nicht ernstlich verletzt hatte oder vor Begeisterung über den Anblick den Maria nun bot, darüber konnte sich Hel nicht den Kopf zerbrechen, dem es nur unter Aufbietung aller Geschicklichkeit gelang, einem mit beherrschtem Grimm geführten Hieb zu entgehen. Die Schmerzen in seinen Beinen trieben ihm die Tränen in die Augen, doch wieder setzte er zu einem Doppelstoß an. Die rechte Klinge zuckte von unten auf ihr Herz zu , doch nun knickte Hels Rechtes Bein ein. Der Schmerz wütete wie eine Furie in ihm, als versuchte sein Gewicht auf das linke Bein zu verlagern. Weit ging der Stoß daneben und mit einer eleganten Drehung des Handgelenkes trieb ihm Maria den Stahl tief in den rechten Oberschenkel, knapp oberhalb der Schnittwunde. Sofort knickte das Bein unter ihm fort, Hel fiel auf die Knie und er konnte nur verhindern, daß er nicht lang hinschlug in dem er sich mit beiden Händen auf dem Boden abstützte. Feurige Kreise rotierten vor seinen Augen und der Schmerz nahm ihm den Atem. Er zwang sich mit letzter Kraft seinen Oberkörper aufzurichten, denn wenn er schon sterben mußte, wollte er es soweit als möglich aufrecht. Das Triumphgebrüll um ihn herum, nahm er nur ganz entfernt wahr, so als dränge es durch dicke Mauern. Maria, den Säbel erhoben, von dem sein Blut troff, ihre Brüste hoben und senkten sich im Rhythmus ihres beschleunigten Atems, über die vereinzelte Blutstropfen, die aus dem oberflächlichen Schnitt drangen, purpurne Linien gezogen hatten, die Wangen gerötet, die Augen leuchtend, bot einen Anblick wilder Schönheit. Jeder Herzschlag hallte unendlich lang in seinen Adern, als er auf Hieb wartete, der sein Lebensfaden durchtrennen würde und er dankte der Göttin, daß sie seinem Tod eine derart begehrenswerte Schönheit verliehen hatte. Aber auch dieser Gedanke verlor sich in einer tiefen, friedlichen Stille und Hel stand schon an der Schwelle zu der Dunkelheit in der makellos die Göttin thronte. Doch dann senkte sich der Säbel und Maria trat zwei Schritte zurück, noch immer kampfbereit. Es dauerte eine Weile bis Hel begriff und die Welt um ihn herum wieder Tritt faßte.

Sein rechtes Bein war ein loderndes Bündel Schmerz und er wußte, daß er nicht aufstehen konnte, aber auch, daß er sich nichts vorzuwerfen hatte. So akzeptierte er das Leben, wie zuvor den Tod und sagte in die atemlose Spannung klar und deutlich:

"Du hast gewonnen, Maria."
Er legte die Dolche vor sich in den Sand. Maria ließ den Säbel sinken und mit einem Siegeslächeln sagte sie: "Dann betrachte ich meine Ehre als wieder hergestellt und unseren Zwist als beendet."

Ihre Wachsoldaten ließen sie mit ohrenbetäubenden Stimmaufwand hoch leben, Maria raffte ihr Hemd zusammen und wandte sich ab. Mittlerweile war Tagamoga zu Hel gestürzt, dem zwei Wachen unter die Achseln faßten und ihn hochzogen. Halb hoben sie ihn, halb schleiften sie ihn in seine Zelle, betteten ihn auf seine Pritsche und überließen ihn Tagamoga.